Paris

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Die Ente des Procope (FAZ 23.7.2009)

 

 

Los Angeles ist eine schöne Stadt, sonnige Tage lassen sich in schönen Restaurants genießen. In dem Film „L.A.Story“ will Steve Martin seine neue Freundin chic ausführen. Er bestellt einen Tisch in einem angesagten französischen Restaurant. Er nennt alle seine Kreditkarten, kann bestätigen, dass er in einer gekauften, nicht gemieteten Wohnung lebt, gibt noch einige Informationen über die Finanzkraft seiner Mutter und wird für würdig befunden, wegen der Gestaltung des Essens vorzusprechen. Es sind anwesend der Geschäftsführer, der Oberkellner und der französische Koch, der niemals direkt mit einem Kunden redet. Der Koch mit französischem Akzent lässt über den Geschäftsführer, der wiederum über den Oberkellner, fragen, was der Gast denn wolle. Nun ja, die Ente hätte er gern. Der Oberkellner übermittelt dem Geschäftsführer, der Geschäftsführer dem Koch den Wunsch. Daraufhin näselt der Koch mit der ganzen Selbstgewissheit der einzig wahren Kulturnation: „Non, die Ohnte kriegt er nischt!“

Über alle Stationen geht das Verdikt zurück an Steve Martin. Martin erkundigt sich über alle Stationen bis hinauf zum Koch, was er denn bekommen könne?

Erneutes Näseln: „Die ´Ühn kann ´ab´n.“

Paris ist eine schöne Stadt, sonnige Frühlingstage lassen sich in schönen Restaurants genießen. Das Procope ist seit 1686 ein berühmtes Lokal im 6ten Arrondissement. Viele Literaten haben hier gegessen und getrunken, Verlaine, Sand, Hugo und Zola. Balzac hat hier einen erheblichen Teil seiner Schulden angehäuft. Oval gerahmte Porträts auf pomproten Tapeten erinnern an die herausragende Vergangenheit des Etablissements. Das Procope bietet auf einer großen Tafel zwei Menüs an, verschweigt aber, dass diese Angebote nur zu bestimmten Zeiten gelten, nicht abends zur Hauptessenszeit. Da ist das Essen teurer, nicht 17 Euro, sondern um die 30.

Man schluckt, man arrangiert sich unwillig.

Man stellt ein Menü zusammen. Zwiebelsuppe vorweg und als Hauptgericht – Ente.

Der Kellner des Procope erscheint. Ganz allein. Selbstsicher.

Non, die Ente könne man nicht haben. Die sei aus.

Was man denn haben könne?

Das Huhn könne man haben.

Steve, Du bist ein Gott!

 

 

 

Die Gräber von Saint-Denis (FAZ 15.10.2009)

 

Auf dem weiten Platz vor der Kathedrale steht eine kleine Säule. Sie erinnert daran, dass 858 die Wikinger den Ort überfielen, um die reiche Abtei Saint-Denis zu plündern. Acht Jahre später kamen die Dänen, es hatte sich herumgesprochen, dass man kurz die Seine hoch musste, um ordentlich abzugreifen. Eine reiche Kirche, fanden die rührigen Ruderer, ist was Feines.

Die Kathedrale Saint-Denis war so prachtvoll ausgestattet, weil sie seit mehreren hundert Jahren die Grablege der französischen Könige war. Sie war im 5. Jahrhundert als Wallfahrtskirche für den Hl. Denis oder Dionysius, den ersten Bischof von Paris, gegründet worden, der unter der römischen Folter den Martyrertod gestorben war. Mit dem Frankenkönig Dagobert kam richtig Geld ins Unternehmen, denn Dagobert (Der Name der Ente – von hier ging er in die Welt) wollte in einer angemessenen Immobilie neben dem Heiligen begraben werden. Davon hörten die beutelüsternen Nordmänner...

Nach Dagobert kamen die „faulen Könige“, die keine Lust zur Arbeit hatten. Liest man die französische Genealogie, fällt auf, wie ärgerlich es ist, dass die Gewohnheit der schmückenden Beinamen in der Geschichte verloren ging. In den Gräbern von Saint-Denis liegen „der Kurze“ und „der Kahle“ (auf ihn wurde gedichtet das „Lob der Kahlköpfe“). Hier ruht „der Dicke“, „der Schöne“ (2x, das Geschlecht der Capetinger war wohl etwas eitel), „der Gute“ und „der Weiser“ und, weil das nicht reichte: „der Heilige“. Warum vergeben wir Heutigen uns die Chance, Figuren wie Schröder, Merkel, Bush und Putin mit einer verbalen Locke zu schmücken?

Saint-Denis ist ein herausragender Platz der französischen Geschichte, seit mit Hugo Capet 996 die Kirche das Grab der französischen Monarchie wurde: 42 Könige, 32 Königinnen, 63 Prinzen und Prinzessinnen und zehn sonstwie bedeutende Persönlichkeiten liegen hier bestattet.

In der Kathedrale empfangen den Besucher das sanfte Gemurmel und Geschlurfe der anderen Touristen. Blitzlichter zucken. Der erste, überwältigende Eindruck: das hohe Kirchenschiff mit den aufstrebenden Fenstern und ihren strahlend kobaltblauen Akzenten. Saint-Denis ist das erste Großgebäude, in dem die neue Technik der Spitzbögen, die wenige Jahrzehnte später zum Inbegriff der Gotik werden sollte, erprobt wurde. Die Bögen oberhalb der schlanken Säulen sind noch rund, aber in ihrem Scheitelpunkt verlassen sie zögernd, wie erschrocken über ihren Mut, das perfekte Kreissegment und strecken sich spitz und überheblich über den Bogen hinaus. Und es klappt! Welch eine Höhe! Welch ein Licht!

Über einen Seiteneingang mit Kassenhäuschen betritt man die Nekropole der Monarchie vom Erdgeschoss bis hinab in die Krypta. In ihren Tiefen, hinter Absperrungen geschützt, liegen geheimnisvoll ausgeleuchtet die Fundamente mit den Gräbern des Hl. Denis und zweier Leidensgenossen. In Kammern und Gängen ruhen die bescheideneren Grabmäler der verstorbenen Noblen. Ein Rundbogen schützt das Porträt Heinrich IV., mit aufbrausender Lockenfrisur, gekräuseltem Barthaar und hochgezogenen Augenbrauen, die Erstaunen über die Läufe der Welt erkennen lassen. Das Herz Ludwigs XVII, als solches kaum noch von einem Forensiker zu erkennen, ruht in einer gläsernen Urne in einer kaltblauen Nische.

Es gruselt uns in dieser düsteren Gruft. Die Revolution von 1789 machte auch vor Saint-Denis nicht Halt – die Gräber wurden verwüstet, die Gebeine herausgerissen und in einem Massengrab verscharrt. Erst Ludwig XVIII ließen sie wieder zusammentragen und in einem Beinhaus in der Kathedrale bestatten. Das macht den Ort nicht freundlicher - man steigt erleichtert nach oben, hier herrschen Pomp, Pracht und die Demut vor dem Tode.

Das Grab von Francois I und Claude de France ist so lebensgenau gestaltet, dass man den bloßen Füßen der Verstorbenen ihre lebenslangen Märsche ansieht. Das Grab von Ludwig XII und Anne de Bretagne ist ein mannshoher Kenotaph, auf dem die nackten und ausgezehrten Körper der Toten millimetergetreu nachgestaltet sind. Darüber ein Baldachin und darauf, kniend ins Gebet versunken, die Gestalten der Verstorbenen als Lebende, in all ihrer Pracht und Eleganz. Die plastinaten Exponate des Herrn von Hagens erscheinen als naturalistische Plattitüde gegen die realistische Genauigkeit, mit der die Künstler die Stickereien und die Perlen, die Gesichtszüge und die Linien der Hände gestaltet haben. Und all dies in dem lebendigen, polierten Alabasterton des Marmors.

Auch vor diesen Figuren schreckte der Hass der Revolutionäre nicht zurück. In die entblößte Brust einer schönen Trauernden ritzen sie Initialen und sinnlose Graffitis.

70 Grabfiguren und Gräber bewahrt die Kathedrale, ein morbides, ein erhebendes Erlebnis.

Der Weg zurück nach Paris – der Gang durch Saint-Denis. Könnten die Könige und ihre Familien den Gräbern entsteigen, sie würden sie den Ort verfluchen, an dem sie liegen. Bürgerhäuser des 20. Jahrhunderts, eine Markthalle, eine vergitterte Post, die ehedem an dieser Stelle den Glanz der Grande Nation verkörpern sollte und 1970er Betonburgen, die wohl von vornherein als Heime konzipiert wurden, um Asylanten abzuschrecken.

Die Geister der Toten würden erschaudern. Sie würden die verstorbenen und lebenden Bürgermeister des Ortes heimsuchen und mit den Folterwerkzeugen ihrer Epochen grimmig Rache üben.

Wofür man Verständnis hätte.

 

 

Saint-Denis im Norden von Paris erreicht man am besten mit der Metro über die Station Basilique de Saint-Denis

Eintrittspreise: 7,00 €
ermäßigt (18 - 25 Jahre): 4,50 €
Gruppen: 5,50 €

Führungen dauern 1 Stunde 30 Min.

Basilique cathédrale de Saint-Denis

1 rue de la Légion d’honneur

93200 Saint-Denis

Frankreich 01 48 09 83 54

basilisque-saint-denis@monuments-nationaux.fr

www.monuments-nationaux.fr

 

© Paul Stänner