Münsterland

Jetzt aber Schloss

Auf der Schlösser-Route durch das Münsterland (DIE WELT 17.5.2008)

 

„Du immer mit deinem Westfalen“, sagt Annegret. „Nein“, sage ich, „nicht Westfalen, Wasserburgen!“ „ Wasserburgen?“  „Eine Wasserburg ist Haus mit Wasser drumrum,“ erkläre ich und sage gleich dazu: „Zum Beispiel Haus Langen, oder Haus Buldern oder Haus Rüschhaus, da hat übrigens Annette von Droste Hülshoff gewohnt.“

Annegret ist nicht beeindruckt, also versuche ich es eine Etage höher: „Oder: Schloss Lembeck“.

„Schloss Lembeck“, sagt Annegret, vorsichtig interessiert. Und stellt gleich Bedingungen: „Da wohnen wir!“

Die Fahrt geht per Bahn in das Herz des Münsterlandes, in die westfälische Tiefebene, Heimat von Schwarzbrot, Schinken und geschmacklosem, aber gewalttätigem Schnaps, der hier Korn heißt. Hauptbahnhof Münster. Wir sind auf der Suche nach dem vorbestellten Mietwagen. Äußern den Wunsch am zuständigen Schalter. Der Mann dahinter holt nur wortlos den Kasten hervor, in dem sich die Wagenschlüssel befinden sollten, dreht ihn um und - nichts fällt heraus. „Tja“, sagt er. Für ihn scheint das eine erschöpfende Erklärung der Situation zu sein. Annegret wartet noch auf Wörter, aber die kommen nicht. 

Westfälisch für Anfänger, Lektion 1: Nicht viele Wörter.

Zehn Minuten später ist der Wagen da. Wir fahren durch eine Landschaft mit sanften Hügeln. Schwere Eichen säumen die Straßen, auf den Feldern wird geerntet. Es geht durch kleine Dörfer, alles sehr aufgeräumt

Schloss Lembeck in der Nähe von Dorsten. Unser Zimmer liegt im linken Flügel. Es riecht leicht modrig-muffig wie in alten Kirchen, ein Duft, der aus altem Holz in der Nähe von Wasser und Naturstein entsteht.

„Wir wohnen in Hanns-Hubertus“, sagt Annegret, die sich ungern Zahlen merkt. Die Zimmer hier haben keine Nummern, sie haben Geschichten. Diese hier hängt neben der Tür: Hanns-Hubertus Graf von Merveldt (1901 – 1969)  Dieser im westfälischen Coesfeld geborene Maler war mit der Familie des Schlossbesitzers verwandt. Seine Studienreisen führten ihn nach Berlin, Paris, Florenz und Rom.

Nachdem die Nazis seine Kunst verboten hatten, mochte Hanns-Hubertus auch die Nazis nicht. Provozierend machte er sich einen Spaß daraus, in Berlin auf dem Kurfürstendamm mit einer Melone aufzutreten. Die Nazis nannten so etwas einen „Judenhelm“, der Träger war in ihren Augen Freiwild. Mehrmals endete die Provokation damit, dass Merveldt vom brauen Pöbel blutig zusammengeschlagen zu Boden ging.

Aber darüber wird hier nicht geredet. Man redet nicht so viel.

Das Münsterland ist ein Fahrradland. Mit etwas Zeit und durchschnittlicher Fitness ist es ein Genuss, durch die Wälder zu fahren oder entlang von Wiesen, in denen um einen Teich drei oder vier Laubbäume mit großen Kronen stehen. Es gibt mehrere Themenrouten, wie eben auch die Schlösserroute, die zu einhundert Schlössern und Wasserburgen führt – wer lange durchhält, legt auf der Rundfahrt zu den „Häusern“ Westfalens 1400 km zurück. Der Ausdruck „Haus“ im übrigen scheint so etwas wie ein westfälisches understatement zu sein, denn eigentlich handelt sich dabei um ein mehr oder weniger aufwändig gestaltetes Herren-Haus. Wie Burg Hülshoff, am Ende einer schweißtreibenden Fahrt.

Es gibt über 150 Wasserburgen in Westfalen. Es muss also einmal eine Zeit gegeben haben, in der man sich gern was auf die Rüstungen schlug. Eine Wasserburg war in einem topfebenen Land ein guter Schutz – und Burg Hülshoff bot einen sehr guten Schutz, denn eigentlich ist sie nicht von einem Graben umgeben, sondern liegt mitten in einem großen Teich. Für einen mittelalterlichen Recken in schwerer Rüstung war ein Graben voller Wasser und Schlamm ein kaum zu überwindendes Hindernis.

Annegret ist militärhistorisch uninteressiert. Auf dem Weg in die Burg liest sie in einer zerfledderten Schulausgabe der Annette von Droste-Hülshoff.

Annette von Droste-Hülshoff gilt mit ihrer empfindsamen Lyrik als die westfälische Dichterin. Ihr berühmtestes Werk ist die Novelle „Die Judenbuche“ – eine Erzählung über Verbrechen und Schuld in Westfalen.

Im Innenhof, geschützt durch das Haus mit seinen dicken Mauern, stehen Tische und Stühle eines Cafes. Wir sitzen in der Sonne, Annegret blättert in ihrem Buch: Sie hat bei Annette was gefunden. Annegret liest vor: Der Münsterländer ist groß, fleischig, selten von starker Muskelkraft – seine Züge sind weich, oft äußerst lieblich und immer durch einen Ausdruck von Güte gewinnend, aber nicht leicht interessant, da sie immer etwas weibliches haben.  

Annegret grinst hintersinnig.

Nach sorgloser Kindheit auf der Burg ereilte Annette von Droste-Hülshoff  ein herber Schlag – ihr Bruder heiratete und bekam nach westfälischem Herkommen Haus und Hof. Ihr vorausschauender Vater hatte schon vor seinem Tode wenige Kilometer weiter einen Witwensitz gekauft, der nun für die unverheiratete Annette der Ort wird, an dem sie an der Seite ihrer Mutter auf ihre Ehe warten soll.

Haus Rüschhaus ist ein graben-umschlungener Hof, den der barocke Baumeister Johann Konrad Schlaun gekauft und ausgebaut hatte. Schlaun prägte in seiner Zeit im Münsterland den Begriff für Architektur - Schlösser, Herrenhäuser und repräsentative Gebäude, alles eine barocke Pracht. Dann kam Haus Rüschhaus in den Besitz der Familie Hülshoff. Damals war es für Annette ein gesellschaftlicher Abstieg von der weitläufigen Burg auf einen kleinen Hof, aber wir heute sehen ein ganz entzückendes Anwesen mit einem leichten, verspielten Portal und einem erstaunlich strengen Garten. Bei den Führungen durch die Räume der Dichterin wird dem staunenden Besucher auch ein verborgener, aber deckenhohen Klappaltar gezeigt, den sich Schlaun hatte einbauen lassen. Daraus ergeben sich allerlei Spekulationen über die münsterländische Form des Katholizismus, denn wer sonst hat schon einen Altar im Wohnzimmer.... ?

Wer jetzt noch gut in der Pedale ist, kann gleich die Friedensroute abfahren – ein Radweg von Münster nach Osnabrück auf den historischen Reiterwegen, die die entscheidenden Städte des Westfälischen Friedens von 1648 miteinander verbindet – 170 km.

Schloss Lembeck am Abend ist deutlich imposanter als Hülshoff, ein langer Hauptflügel mit Tordurchfahrt, dreigeschossig, graues Schieferdach, darauf Renaissance-Zwiebeltürme, die sich kugelig wölben und dann schlank in den Himmel streben. Auch hier eine Vorburg mit den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden und auf einer eigenen Insel das Herrenhaus, heute Hotel, Restaurant und Museum. Drachenköpfige Wasserspeicher aus grünspanüberzogenem Kupfer hocken in den Dachrinnen und betrachten übellaunig die Rhododendrenpracht im Garten.

 „Das Wasser ringsherum,“ sagt Graf Merveldt, „war dann, nachdem die barocke große Anlage gebaut wurde, mehr ein Standessymbol. Aber in den 20er Jahren, als es hier die Spartakusaufstände gab, waren meine Großeltern noch sehr froh, dass sie Zugbrücken hatten und Tore, die jede Nacht verschlossen wurden.“

Inzwischen sind die Zugbrücken fixiert, Spartakus kämpft nicht mehr.

Zum Hotel Schloss Lembeck gehört auch ein Restaurant, eine dunkle Ritterherrlichkeit um einen mächtigen Kamin. Zum Restaurant gehört eine Bedienung. Die Dame trägt einen gewagten Minirock, der aber geschickt in Schwarz gehalten ist, um die drängende Fülle auf ihren Hüften zu kaschieren. Die Gute ist von jenem knackigen Charme, der das Reisen in Westfalen immer wieder zu einem erinnernswerten Erlebnis macht. Auf die Frage, ob es auch alkoholfreies Weizenbier gäbe, antwortet sie mit einem kraftvollen „Neee!“

Nun gut, mehr Information war eigentlich auch nicht gefordert, aber diese betont schnörkellose Art der Verständigung ist schon erstaunlich. Annegret aus Berlin hätte eine Bemerkung erwartet wie: Es tut mir leid, das haben wir gerade nicht da... oder: Da muss ich Sie enttäuschen... Stattdessen noch eine Lektion in der Landessprache: der Westfale schätzt solch weltläufige Redundanzen nicht.

 „Hanns-Hubertus ist schlicht und sauber gehalten“, beurteilt Annegret unser Zimmer. Sie bemerkt mit Zufriedenheit, dass es an den Wänden keine Blutspuren von zerquetschten Mücken gibt. Das ist andererseits auch kein Wunder, denn in den Fenstern zum Schlossgraben halten dicke Spinnen Wacht. „Igitt!“, ruft Annegret, bewahrt aber schlossdamenhafte Contenance.

Nachtruhe.

Frühstück gibt’s im Restaurant. „Moin!“ – „Jau!“

Annegret lernt schnell.

 

Über Radtouren im Münsterland informiert:

Fremdenverkehrsverband Münsterland, dort gibt es auch die Rad-Planungskarte und die Karte „100 Schlösser Route“.

touristik@muensterland.com

www.muensterland-tourismus.de

www.radregion-muensterland.de

www.100-schloesser-route.de

 

 

Friedensroute – Auf den Spuren des Westfälischen Friedens

170 km Radfernweg von Münster nach Osnabrück

www.friedensroute.de

 

Ein gut handhabbarer Reiseführer:

Die 100 Schlösser-Route

EMV-Erler Mühle Verlag

www.erler-muehle.verlag.de

 

© Paul Stänner