Müncheberg

Neuer Wein in Alten Schläuchen
Ein Streifzug durch Kirchen, die keine mehr sind

Deutschlandradio Kultur - 22.12. 2012, 15:05 Uhr

 

 

Ein Beispiel: die ehemalige St. Immanuelkirche in Prester bei Magdeburg, malerisch gelegen auf der Krone des Elbe-Deichs.

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Erzähler:

Genau sitzen wir drinnen auf der Empore der alten Dorfkirche. Das Gotteshaus a.D. ist aus schweren Feldsteinen errichtet, nur im Eingangsportal und an einigen Schmuckelementen sind dunkelrote Klinker verbaut worden. Die ehemaligen St. Immanuelkirche von Prester ist 1832 von der preußischen Baudeputation in Berlin wahrscheinlich unter Mitarbeit von Karl Friedrich Schinkel errichtet worden. Die Kirche überstand den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, aber in der DDR-Epoche ging ihr die Luft aus. Ab 1983 wurde sie nicht mehr sakral genutzt, sondern entweiht und bis 1990 vom Evangelischen Kirchenkreis Magdeburg als Bauhof verwendet. 1997 wurde sie dann verkauft und erlebte mehrere Durchläufe als Lokal. Seit fünf Jahren haben Katrin Rieffenberg – blonde Kurzhaarfrisur, mittelgroß, lebensmittelkompatible Figur -  und ihr Mann die Kirche. Nicht alle im Dorf konnten sich damit anfreunden, dass ihre ehemalige Kirche eine Gastronomie wurde.

 

Oton Katrin Rieffenberg:

Na ja, ich sag mal so, die Meinungen sind hier ringsum schon ein bisschen gespalten. Es sind so diese alteingesessenen Presteraner, die da nicht so ganz konform mit sind, die dann nicht unsere Gäste sind, einige sind davon noch gläubig und die gehen auch noch in die Kirche, aber die meiden uns.

 

Erzähler:

Das Restaurant befindet sich im früheren Kirchenschiff. Dort, wo einmal der Altar gestanden hat, steht der Tresen. Dahinter ist das Kirchenschiff von einer Wand abgeschlossen, hinter der Wand, also in der früheren Apsis, sind jetzt die Küche, Kühlschränke und andere Funktionsräume. Wo früher die Kirchenbänke standen, stehen jetzt lange Tische für größere Gesellschaften, etwas heimeliger fühlt man sich auf der Empore, wo die kleineren Tische stehen. Die Orgel und die beiden Glocken sind ausgebaut. Ein wichtiger Teil des Restaurantgeschäfts sind die Radfahrer, die auf dem Elberadweg durch Sachsen-Anhalt reisen. Ein anderer wichtiger Zweig ist die Ereignisgastronomie.

 

Oton Katrin Rieffenberg:

Sind viele, die sagen, wir sind nicht religiös, aber es ist einfach schön, in der Kirche zu feiern, weil es gibt doch immer noch ältere Leute, so Omis und Opis, die denn meistens in der Familie mit sind, die doch kirchlich sind und sich dann doch freuen, wenn man es ein bisschen kirchlich noch hat.

 

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Berlin-Kreuzberg, St. Agnes, aus einer Kirche im Stil des „Brutalismus“ aus dem Ende der 1960er Jahre

 

Oton König:

Wir sind vor allem ja eine Galerie, also wir handeln mit Kunst, wir arbeiten ähnlich zu einer Agentur, indem wir fest mit Künstlern zusammenarbeiten, die meist anfangen zu vertreten, wenn die noch am Anfang ihrer Karriere stehen und beraten und betreuen die und finanzieren uns über die Vermittlung derer Werke.

 

Erzähler:

Johann König hat kurze, lockige, brünette Haare, die zur Stirn hin schon stark gelichtet sind, trägt einen schwarzen Baumwollpullover, Jeans und grüne Turnschuhe sowie eine massive Hornbrille. Er ist Kunsthändler, Liebhaber von Musik aus den 60er Jahren – und gerade einmal einunddreißig Jahre alt. 

 

Oton König:

Es ist eben ganz wichtig zu sagen, dass wir nicht nur Handel betreiben, denn wenn wir nur Handel betreiben würden, bräuchten wir nicht solche großen Räume, die ja auch aufwendig im Unterhalt sind.

 

Erzähler:

Das ist das, was man von einem Kunsthändler erwarten kann – An- und Verkauf. Aber die Idee von Johann König trägt weiter und deshalb hat er aufgemerkt, als St. Agnes verkauft werden sollte. St. Agnes in Berlin-Kreuzberg ist eine riesige Kirche aus dem Ende der 60 Jahre. Wahrscheinlich war sie schon überdimensioniert, als sie geplant wurde. Sie ist ein riesiger, fast rechteckiger Raum, der sein Licht nahezu  ausschließlich über Deckenfenster bezieht.

 

Oton König:

Wo vielleicht der Kunstraum auch dem Kirchenraum folgt ist, dass man zuerst einmal allein ist mit anderen, zusammen, man ist dennoch mit sich und der Kunst auch in Gemeinschaft mit anderen, die sich die Ausstellung angucken würden wie das im Museum auch der Fall ist. Aber dieser abgeschlossene Raum, der keine Blicke nach außen zulässt, hat für eine Ausstellungshalle eine sehr hohe Qualität.

 

Erzähler:

Ortswechsel – wir stehen in der ehemaligen St. Agnes-Kirche. Alle Attribute, die eine Kirche ausmachen wie Altar, Kreuz, Orgel sind schon ausgebaut und haben in anderen Gemeinden eine neue Verwendung gefunden. Die Kirche St. Agnes wurde von dem Senatsbaudirektor Werner Düttmann entworfen, der in Berlin einen bedeutenden Namen hat. St. Agnes gilt als Paradebeispiel für einen Baustil, der „Brutalismus“ genannt wird. „brut“ (franz.) steht hier für klar, schnörkellos, ungeschminkt. Wenn es Schmuck gibt, dann ist es Beton. Man denkt, die Kirche sieht aus wie ein Bunker, so scheußlich erscheint sie. Arno Brandlhuber, der Architekt, der aus St. Agnes eine Galerie macht, räumt das ein:

 

AtmoBrandlhuber  (leere Kirche)

 

Oton Brandlhuber:

Es scheint, dass diese „Scheußlichkeit“ auch in der Gemeinde so rezipiert wurde, sonst hätte sich die schrumpfende Kirchengemeinde nicht in eine Kirche des 19. Jahrhunderts zurückgezogen.

 

Erzähler:

Von der heimeligen Gefühligkeit des 19. Jahrhunderts ist St. Agnes weit entfernt. Brandlhuber, kraftvolle Statur, Raucher, sieht den nüchternen, gradlinigen Bau anders.

 

Oton Brandlhuber:

Der ist natürlich großartig. Und zwar einerseits, weil er so eine ganz raue Oberfläche, fast betonartige Oberfläche, Spritzbeton, die extrem weiches Licht macht, kaum Schatten, kaum scharfe Kontraste und es ist ganz wichtig zu wissen, dass diese Anmutung innen nicht etwa der Konstruktion geschuldet ist, sondern es ist eine sehr dünne Schale, die er sowohl aus akustischen als auch aus optischen Gründen hier eingeführt hat.

 

Erzähler:

Der große, hohe, leere Raum wirkt ein wenig beliebig. Im Grunde könnte man hier Maschinen aufstellen, Drehbänke etwa oder Druckereimaschinen. Oder, wie es in anderen Kirche ja auch geschehen ist, Sportgeräte, es gäbe sogar genug Platz für Mannschaftsspiele.

Oton Brandlhuber:

Er hat eben nicht diese völlige Profanität einer Turnhalle oder einer Werkhalle, sondern hat eher eine bestimmte Lichtstimmung, die eher auf sich selbst konzentriert, insofern also für einen Ausstellungsraum extrem gut geeignet und es könnte sein, dass Werner Düttmann damals eben nicht nur Kirche gebaut hat, sondern die Möglichkeit des Ausstellungsraums schon mitgedacht hat, weil er so ideal dafür geeignet ist.

 

 

Berlin – Spandau, Luthergemeinde. Ungefähr die Hälfte des ehemaligen Kirchengebäudes wurde zu Wohnungen umgestaltet, um den früheren Altarraum liegt die heutige Kirche.

 

 

Oton Bender:

Es gab wenig Leute, die sagten, nicht mit mir, ich wander´ aus. Hier waren es mit dem Umbau sehr wenige, es wurde natürlich den meisten Leuten auch mehr oder weniger schmackhaft gemacht: Es wurde auch den Leuten erzählt, vor allem den Seniorinnen, dass es eine Fußbodenheizung geben würde und mal könnte das ganze Jahr hier Gottesdienste machen und so war eigentlich die Opposition relativ gering innerhalb der Gemeinde.

 

Erzähler:

Eine Fußbodenheizung – nach 100 Jahren endlich eine Kirche mit menschlichem Klima. Entsetzte Gesichter, erinnert sich Matthias Bender, gab es eigentlich nur bei solchen Gemeindegliedern, die nach 30 Jahren Abstinenz wieder einmal vorbeischauten und ihre Kirche von früher nicht mehr fanden. Der große Vorteil der Lösung, die man in Spandau gefunden hat, liegt für die Kirche darin, dass der Raum für die Wohnungen an eine Investorengruppe verkauft wurde. Die Kirche tritt also nicht als Vermieterin auf. Andererseits sind bei allen Reparaturen am Kirchengebäude die Investoren mit im Boot. Pfarrer Wohlfahrt, seit einem dreiviertel Jahr in der Gemeinde, ist nahezu begeistert.

 

MusikWechsel auf Gospel 3

 

Oton Wohlfahrt:

Ich treffe bei Beerdigungen auch Menschen, die vor Jahrzehnten mal zu dieser Gemeinde gehört haben, und eigentlich sind alle positiv überrascht, wie schön doch der heutige Kirchraum ist, auch wie warm. Sie müssen sich das vorstellen, dass war früher eine riesige Kirche, die vielleicht ein oder zweimal im Jahr zu Heiligabend oder einen anderen besondern Anlass gut gefüllt war, ansonsten fast immer leer kalt und dunkel war. Heute sind die meisten Veranstaltungen dieser Gemeinde in der Kirche, das wird von den Menschen gern angenommen.

 

Erzähler:

Im Wirtschaftsleben nennt man das Gesundschrumpfen. Betrachtet man diesen Prozess nicht aus der Perspektive der Kirchen, sondern mit dem Auge desjenigen, der durch die Lande streift, dann fällt auf: Das Land wird vielfältiger.