Kanalinseln

Pferdeplastiken im zügellosen Garten

(FAZ 26.3.2009)

 

 

Gemessenen Schrittes naht der Seigneur über den locker gestreuten Kies. Die Wolken haben sich verzogen. Der Hausherr begrüßt seine Gäste im weichen Licht des späten Nachmittags.

Vor der Freitreppe des zweigeschossigen Hauses, das von einem gut zu begehenden Widows Walk, einer Veranda auf dem Dachfirst, und zwei Kaminen an den Stirnseiten des Gebäudes gekrönt wird, steht Kunst. Zwei lebensgroße Pferdeplastiken tobten auf dem Rasen in kraftvollen Bewegungen. Die Tiere aber sind wie von Bandagen umwickelt, während die Körper ausgehöhlt, zerfallen, verweht sind.

Dann führt Peter, der Seigneur von Sausmarez, in den Garten. Garten? Es ist eine Grüne Hölle. In einer Senke von einem halben Hektar wuchern Pflanzen ohne Mass. Allein 40 Sorten Bambus wachsen hier, von europäischen Bäumen und Sträuchern ganz zu schweigen. Der Blick nach oben endet an der geschlossenen Pflanzendecke. Ingwer-Pflanzen und Bananenstauden lassen von breiten Blättern den Regen abtropfen. Der Boden ist kompostbedeckt und feucht. In der tiefer gelegenen Rinne fließt träge ein Bach von grauer, stumpfer Farbe.

Gerade einmal zehn Jahre hat es gedauert, diesen quasi-tropischen Dschungel zu erschaffen. Wegen des milden Klimas auf Guernsey wachsen die Pflanzen auch im Winter. Jemand müsste sie zurückschneiden, aber der Seigneur hat nur einen alten Gärtner (einen „¾ Gärtner“, wie er sagt) und der scheint der explodierenden Biomasse nicht Herr zu werden.

Eines Tages, das ahnt man, wird sich das Grün aus der Senke erheben, den britisch-präzise gestutzten Rasen überwinden und Sausmarez Manor unter sich begraben.

Peter, der Seigneur, hat das Anwesen 1982 von seinem Vetter gekauft. Er hätte auch warten können, bis es auf ihn übergeht, aber dann folgen einige geknurrte Bemerkungen über das lokale Erbrecht und man versteht: Er hat es besser gekauft. Sausmarez Manor wird erstmals 1254 erwähnt, als vertraglich geregelt wurde, wer vor dem normannischen Mont St. Michel die Schiffswracks plündern durfte. Die lange Historie erläutert der Hausherr im Inneren des Manor.                       Zügig geht es durch den ersten Salon, der mit Gobelins ausgestattet ist. Zwei der Wandteppiche sind mit der Hilfe einer gemeinnützigen Stiftung restauriert worden.

Der zweite Salon ist ein rührend verkramtes Zimmer mit Mobiliar, wie es der Zufall der Zeit in die Familie spülte: Sessel, Sofa, Tisch und Teppich, fast jedes ein Einzelstück. Ein angenagter Zweispitz liegt dort neben einem Monocular aus der Zeit Lord Nelsons.

 

Das Speisezimmer wird beherrscht von einer durchaus royal gedeckten Tafel mit dem Prachtgeschirr des Hauses. Seigneur Peter steht erläuternd vor den Porträts der verstorbenen und des lebenden Herren auf Sausmarez. Herrn Peters Haare sind kaum mehr gelichtet als auf dem Gemälde hinter ihm, aber grauer sind sie geworden. Geblieben sind die markante Kinnpartie und die energischen Einschnitte in den Wangen.

Peter renommiert mit Kapitän Philip Sausmarez, der auf der HMS „Centurion“ die Welt umsegelte, dabei das Logbuch führte (Familienbesitz) und mit seinen Prisengeldern das Vermögen besagter Familie auf eine gesunde Grundlage stellte. Ein anderer Vorfahre war in traulicher Personalunion als Kaperfahrer (vulgo: Pirat) im Englischen Kanal und als Anwalt auf Guernsey tätig. Was einem schon zu denken gibt.

Unter den Verblichenen ragt einer heraus, der mit zwei Gattinnen nicht weniger als 28 Nachkommen zeugte. Was fast so beeindruckend ist wie eine Weltumseglung. Auch in den Künsten waren die Vorfahren aktiv – die Sausmarez haben dem Flüchtling Victor Hugo die Hälfte der Summe für den Kauf seines Hauses auf Guernsey vorgestreckt. Hugo hat die Schulden innerhalb von vier Jahren mit dem Verkauf eines einzigen Buches getilgt. Ihm zur Erinnerung hängt eine Gemme mit seinem Abbild im Speisezimmer.

Der Seigneur nützt die Gelegenheit, an die alten Zeiten zu erinnern. Damals bekamen die Seigneurs 13,5 Prozent von allen Landverkäufen in ihrem „Geltungsbereich“. Das würde heute helfen. Aber eine Labour-Regierung hat 1982 diese Regelung abgeschafft und der Gesichtsausdruck von Seigneur Peter lässt keinen Zweifel daran, dass er diese Tat verachtet. Denn das Haus, das auf einer mehr als tausendjährigen Geschichte steht, ist einerseits Teil des historischen Erbes, andererseits teuer zu unterhalten von ihm, Peter, als Privatmann. Es gibt keine öffentliche Unterstützung.

Was tun mit einem schlossartigen Manor, das unglücklicherweise in der Einflugschneise des Flughafens liegt?

Ein Hotel? Undenkbar.

Das Haus hat ein Einkommen aus den Eintrittsgeldern der Touristen und wird vermietet für Hochzeiten und sonstige Familienfeste. Zum Glück hinterließ der lendenstarke Vorfahr mit den 28 Kindern ein Kindermädchen, das groß und weiß durch das Treppenhaus spukt – der Zeichnung nach eine Mischung aus Supernanny und Mrs. Doubtfire. Der Seigneur selbst führt die „Ghost Tours“, die Kinder sind begeistert.

Die eigentliche Attraktion ist der zügellose Garten. Er muss das Geld heranschaffen. Am Rande entdeckt man hinter einem Drahtzaun eine Miniatureisenbahn. Die Bahn ist stillgelegt, die Kinder waren wohl nicht amüsiert, Irgendjemand mit makabrem Humor hat in den Bäumen und im Gebüsch Kinderspielzeug versteckt – da hängt ein Teddybär im Baum, als sei er seinem Leben nicht mehr zurecht gekommen. Hühner picken im Gras.

Seigneur Peter kam auf die Idee eines Skulpturenparks – und so sitzt ein kleines Bronze-Mädchen lesend am Fuße eines Baumes, an anderer Stelle spielen Kinder in natürlicher Größe miteinander, ein älterer Herr hat sich auf einen Baumstamm gesetzt, um einen Dorn aus dem Fuß zu ziehen und eine nackte Schöne aus Stein und Bronze räkelt sich auf das Erfreulichste. Man kann die Skulpturen kaufen, die Hälfte von ihnen wird jährlich ausgetauscht. Eine lokale Jury kuratiert die nächste Ausstellung – würde er allein entscheiden, sagt Seigneur Peter, wären wohl zu viele nackte Frauen im Garten.

Also weiter unter mannshohem Bambus und vorbei an exotisch leuchtenden Früchten: Der Skulpturengarten ist aufgelistet in dem Buch „1001 gardens to see before you die“, was für Seigneur Peter so etwas wie die offizielle Anerkennung seiner Einzigartigkeit ist.

Man wird in dem klammen Grün ein beklemmendes Gefühl nicht los. Das Haus ist düster und verkramt, im Gobelin-zimmer sind die Fensterläden geschlossen, überall wären Dinge zu reparieren und zu erneuern, dann gibt es noch einen Laden, in dem aus Altmetall künstlerische Objekte geschmiedet werden, Tierfiguren aus alten Fahrrädern, was auch keinen wirklich frischen Eindruck macht. Über allem liegt ein feuchtkalter Hauch von Morbidezza. Je mehr sich das klar macht, umso gewinnt ein Gefühl des Respekts und der Hochachtung Raum, gegenüber dem Seigneur, der sich diesem Verfall genussvoll und uneinsichtig entgegenstellt.

 

Sausmarez Manor

St. Martin auf Guernsey

Kanalinseln

Nach Guernsey am besten über London, dann mit Aurigny.com auf die Insel.

 

© Paul Stänner